Es ist kurz nach zehn, und die Kälte der noch jungen Nacht schlägt mir ins Gesicht, als ich auf den Loop einbiege. Der Asphalt glänzt feucht, Schweiß klebt auf meiner Haut, während eine Laterne nach der anderen den Weg erhellt mit ihren schummrigen Lichtern – als durchquerte ich die Szenenbilder eines Film noirs. Bizarre Büsche und knorrige Sträucher säumen die Strecke. Es ist eine seltsame Mischung aus Bedrohung und Verheißung, die mich hier ankriecht.
Und dann sehe ich sie da stehen: die Loop-Monteure. Eine Handvoll Gestalten, lässig an einen mobilen Reparaturannahmetresen gelehnt, während sie an ihren Luftpumpen herumspielen, die wie Revolver in ihren Gürteln stecken. Die reflektierenden Streifen ihrer Funktionsjacken leuchten im Schein der letzten Laterne. Einige tragen Caps, Schirm nach hinten, andere Bandanas mit Totenköpfen drauf. Ich rolle langsam näher. Die Monteure – Männer aller geschlechtlichen Schattierungen – mustern mich. Einer, dessen Cargohose wenig Raum für Spekulation lässt, tritt vor und streicht über meinen prallen Pneu. „Na, Kollege, hast’n Problemchen? Sieht aus, als wär’ deine Kette ein bisschen … eingerostet?“
Das ist mein Einsatz. Ich erkläre ihm, dass ich tatsächlich ein technisches Problem habe, aber keine Ahnung, was es sein könnte. Er grinst breit und schnippt eine kleine Kettenlehre aus der Gürteltasche.
Während er mein Liegendrad checkt, nutze ich die Gelegenheit, ihn heimlich zu mustern. Unter seinen knallengen Cargos zeichnet sich ein mächtiges Suspensorium ab — eins dieser wattierten Radleraccessoires, deren Nutzer meist mehr Wert auf Form als Funktion legen.
„Sieht so aus, als wär’ dein Umwerfer hinüber. Muss gemacht werden. Aber keine Sorge, ich hab’ alles dabei.“ Er zieht einen kleinen Werkzeugkoffer hervor, der so aussieht, als könnte er neben einem Satz Inbusschlüsseln ein paar letzte Geheimnisse bergen.
Die eigentliche Reparatur geht schnell vonstatten – fast zu schnell, für mein Gefühl. Innerhalb von wenigen Minuten ist der Schaltzug angeblich gerichtet, und ich kann wieder aufsitzen. Aber mein Monteur hat offenbar noch mehr zu bieten: „Sag mal, du trittst doch sicher heute schon länger in die Pedale, oder? Deine Wadenmuskeln wirken so verspannt. Soll ich mich mal ... drum kümmern?“
Ich zögere, aber meine journalistische Neugier ist stärker. Er holt eine Spraydose hervor und beginnt dann, meine nackten Waden mit einer öligen Flüssigkeit zu massieren. Er macht das überraschend professionell – professioneller jedenfalls, als ich das auf einem Radweg mitten in der Nacht erwartet hätte.
„Uns hier geht’s nicht nur ums Zweiradtechnische,“ erklärt er zwischen zwei knetenden Griffen. „Wir nennen es ‘Ganzheitlicher Ansatz’. Die meisten Radler haben keinen Plan, wie sehr ihre Faszien verklebt sind. Aber wir kümmern uns drum.“
Ich kann nicht anders, als nach dem Preis zu fragen. Die Antwort kommt prompt: „Für den Umwerfer zwanzig. Für die Massage, sagen wir ... fünfzehn. Wenn du das Komplettpaket nimmst – inklusive Nacken und ein bisschen … individueller Beratung – reden wir über 'n Fuffi. Fairer Deal, oder?“
Der Monteur zwinkert. Es ist ein Zwinkern, das mehr andeutet, als ich wissen will. Als ich frage, was „individuelle Beratung“ bedeutet, hebt er nur die Augenbrauen. „Kommt drauf an.“
Ich beschließe, es bei den Waden zu belassen. Als ich weiter radele, tauchen aus dem Dunkel weitere Monteure auf. Sie stehen in Gruppen und trinken aus Thermoskannen. Andere hocken auf Kisten und schrauben an umgedrehten Lastenrädern. Es sind auch Monteurinnen darunter.
Ich lasse mein Rad ausrollen, klappe den Ständer aus. Irgendetwas sagt mir, dass hier eine ganz ähnliche Mischung aus technischer Expertise und körperlicher Dienstleistung angeboten wird. Und richtig: Eine Monteurin, mit wallendem Haar und einem an Piraten erinnernden Ohrschmuck, löst sich aus der Gruppe, schlägt mir vor, meine Sitzhaltung zu überprüfen.
„Das ist wichtig für dein Becken,“ sagt sie mit erstaunlichem Ernst. „Und für alles, was damit zusammenhängt. Willst du?“ Spätestens jetzt frage ich mich, ob diese Menschen hier eigentlich jemals von der Gewerbeaufsicht kontrolliert werden. Aber laut “meiner” Monteurin ist das eher selten der Fall.
„Die meisten von uns sind eingetragene Gewerbetreibende,“ erklärt sie mit einem Lächeln, das mehr ausdrückt, als es will. „Wir bieten echten Service, keine illegalen Sachen. Die hierher kommen, wissen das – so wie du gleich auch.“ Ich blicke sie vielsagend an, worauf sie vorschlägt, mir hinten einen neuen Schlauch einzuziehen.
Als ich im Morgengrauen den Loop verlasse, bin ich um einige Erfahrungen reicher – und etliche Euro ärmer. Aber alle Schaltzüge funktionieren, Waden und Nacken sind entspannt, und noch ein paar Körperregionen mehr. Nur mein Kopf schwirrt noch von den vielfältigen Eindrücken der letzten Stunden.
Das Fazit meiner ersten Nacht auf dem Hamburger Fahrradstrich: es dürfte in dieser Stadt keinen Ort geben, an dem Mensch und Maschine auf eine intensivere Weise miteinander verschmelzen. Wie das am Ende sogar auf dem Gepäckträger eines Liegendrads passieren kann, darüber möchte ich aber besser den Fahrradmantel des Schweigens breiten. Nur so viel: Es sollte kein Träger mit Klemmbügel sein.
Fritz Tietz
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