Tempo 30 ist möglich! – Vom erfolgreichen Widerstand gegen die Raserei in Wettmershagen
Wir befinden uns im Jahr 2022 n. Chr. In ganz Deutschland gilt innerorts Regeltempo 50. In ganz Deutschland? Nein, das von 400 Niedersachsen bevölkerte Wettmershagen, Ortsteil der Gemeinde Calberlah, rund 15 Kilometer westlich von Wolfsburg, hat diese Regel vor zehn Jahren trickreich ausgebremst. Sie hätten noch nie 30er-Schilder an einer Landesstraße aufstellen müssen, nölten die Mitarbeiter der zuständigen Straßenbehörde, als sie 2013 genau das auf Anordnung des niedersächsischen Verkehrsministers tun mussten. Seither ist auf der L 321 in Wettmershagen nur noch Höchsttempo 30 zulässig, was auf sog. übergeordneten Straßen hierzulande äußerst selten der Fall ist. Wie die Wettmershäger das geschafft haben? Tobias Nadjib war damals aktiv in einer Bürgerinitative dabei. Wir treffen ihn in der Ortsmitte des in einer Senke liegenden Dorfes unweit der nach wie vor stark frequentierten, aber durchaus angemessen befahrenen Landesstraße.
Tietz(Verkehrsgeräusche) Wie war die Verkehrssituation hier damals?
Nadjib
Es gibt hier eine Verkehrsinsel, um die Straße zu überqueren. Wenn man da steht, dann schafft man es eigentlich gar nicht weit genug um die Kurve zu schauen, um Fahrzeuge, die mit 50 kmh ankommen, rechtzeitig zu sehen. Das heißt, wenn ich dort sicher über die Straße kommen möchte, dann muss ich lauschen, ob ich vielleicht ein Auto höre. Und das ist natürlich etwas, was insbesondere für Kinder oder auch ältere Menschen wirklich schwierig ist. Und das war der Grund, warum wir gesagt haben, wir müssen etwas tun. Dazu kam eine erhebliche Lärmbelästigung durch Schwerlastverkehr, der hier in der Mitte des Dorfes einen Lastwechsel hat. Wenn sie in das Dorf rein fahren, fahren sie im Prinzip bergab. Und mitten im Dorf ist dieser Lastwechsel, denn dann fahren sie wieder leicht bergauf. Und dann knallt es so in diesen Sattelzügen Und das hat einfach die Lebensqualität hier im Dorf sehr beeinträchtigt.
Eine kurze Ortsbegehung, bei der mit dem 61jährigen Lehrer Friedrich Riesenberg-Witte ein weiterer Aktivist der Bürgerinitative dazu stößt, macht das mehr als deutlich.
Tietz
Wir sind jetzt hier mitten in Wettmershagen … (Genau) … In der Senke … (In der Dorfmitte, ungefähr vom alten Dorf die Mitte) …
Nadjib (lautes Fahrgeräusch) Wo wir hier stehen, ist halt der Punkt, wo wir hier direkt vor uns auf die Verkehrsinsel sehen, die als Querungshilfe dient. Und wir sehen, dass man dahinter vielleicht dreißig Meter freien Blick hat, dann kommt die Kurve. Und die Autos kommen da immer relativ schnell rum. Das heißt, wenn wir jetzt zur Verkehrsinsel gehen und mal selbst ausprobieren, auf die andere Straßenseite zu gehen, dann … (Man kann sich da nur aufs Gehör verlassen) … Das ist wirklich schwierig … (Ja) … Hinter uns ist jetzt das alte Dorf, sozusagen. Vor uns liegt das neue Dorf. Und diese beiden Teile sind durch die Landesstraße getrennt … (Fahrgeräusch) … dann gehen wir mal da rüber… (Atmo, Schritte, Fahrgeräusche) …
Tietz(Fahrgeräusch) Fahren auch eng an einem vorbei hier, ne …
Nadjib
Dann sieht man eben: der Fußweg ist hier gerade mal ein Meter breit, also mehr nicht. Und wenn wir jetzt hier stehen … So … (Fahrgeräusch) … Oh!… Sie haben keine Chance … (Fahrgeräusche) …
Tietz
Das war aber deutlich … (Das war zu schnell, ja) … deutlich zu schnell …
Riesenberg-Witte
Aber wenn Sie sich vorstellen: Sie sind gerade mal halb auf der Fahrbahn, dann kann man sehen, dass diese Strecke von dem Sichtpunkt dort in der Kurve bis hier zu kurz ist für 50. Und das konnten wir eindeutig belegen. Und ich glaube, das hat auch dazu … der fährt 30! Und der hat ‘ne Chance anzuhalten. Das merkt man sofort. Da muss man gar nicht lange messen. Das merkt man sofort … (Das sieht man) … Ja, hier auch. Hier wird vernünftig dann gefahren, insofern habe ich auch Zeit, um rüber zu gehen … (Um zu reagieren) … Ja.
Nadjib
Und wenn ich … Ich meine, wir stehen jetzt hier ohne Kinderwagen, ohne Fahrrad, ohne ein Kind an der Hand, ohne Rollator …
Riesenberg-Witte
Wir sind aufmerksam. Wir sind nicht abgelenkt durch andere Sachen, das ist ein großer Unterschied … (Woll’n wir rüber gehen?) … Ja, gehen wir mal rüber … (Aber, vorsichtig)
Tietz
Diese Verkehrsinsel: war die schon immer da… (Nein)… Oder haben Sie das auch erst durchgesetzt?… (Fahrgeräusch)Nadjib
Nein, die war schon vor unseren Aktivitäten da … (Ja) … Die meisten Anwohner, die über die Straße gehen müssen, suchen sich eigentlich einen anderen Punkt. Wir sehen das auch gleich, das ist da, wo die mittlere Geschwindigkeitstafel aufgestellt ist. Das ist eigentlich ein Punkt, der schön gerade ist. Deswegen steht die dort auch, und wenn wir hier mal die Straße überblicken … (Hier können wir es ja sehen) … Können wir in die Richtung relativ weit gucken. Und in die Richtung … (Ja) … und das bietet sich eigentlich an, hier über die Straße zu gehen.
Zum weiteren Gespräch begeben wir uns ins nahe Gemeindehaus – und befinden uns dort sehr schnell im Jahr 2005, als der Widerstand gegen die Raserei in Wettmershagen begann.Nadjib
Damals wurde ich von Massoud Riazi und Manfred Zeinert angesprochen, die haben gesagt: Mensch, du hast ja auch Kinder. Es geht hier um die Verkehrssicherheit an der Straße. Lass uns doch mal treffen. Und daraufhin gab es Gespräche hier mit der Gemeinde, und die sind eigentlich immer gleich abgelaufen. Wir wurden freundlich behandelt haben uns nur im Nachgang gewundert, warum passiert jetzt eigentlich nichts? Alle waren doch nett und ja… (Schmunzeln)… Das hat tatsächlich auch zu Frustration geführt. Wir haben dann angefangen, Anträge schriftlich zu formulieren. Das wurde überhaupt nicht ernst genommen. Das hat man uns auch irgendwann mal wissen lassen: Ihr seid ja nur ein paar Verrückte, sprecht gar nicht für das ganze Dorf. Dann haben wir halt hier die Dorfgemeinschaft einbezogen. Und das hat wirklich super funktioniert. Das hat uns selbst beeindruckt. Dann standen hier auf einmal fast 100 Menschen aus dem Dorf auf dem Fußweg, und daraufhin wurden wir ernst genommen, weil natürlich auch die Medien sofort darauf angesprungen sind. Wenn so ein kleines Dorf aufbegehrt und abgeblockt wird, das ist schon spannend. Das war in den Medien eine Zeit lang sehr präsent. Wir haben aber gemerkt, wir kommen auf dem Weg nicht weiter. Also trotz Fernsehsendern, die hier waren, trotz spektakulärer Aktionen …
Riesenberg-Witte
Also diese Park-Aktionen meintest du …
Nadjib
Ja, wir haben geparkt, wir haben Autos auf die …
Riesenberg-Witte
… ganz normal geparkt hier im Dorf, und dadurch hatte man einen megalangen Stau. Zwei Autos reichen dafür aus. Also das hätte ich mir nie träumen lassen. Das reicht, um den kompletten Verkehr zum Erliegen zu bringen. Es war einfach ein Anblick, der, ne, der war schon klasse …
Nadjib
Der hat aber viele Emotionen auch hoch gebracht … (Ja, genau, das ist die Kehrseite) … Wir haben uns das irgendwann überlegt: Was würden wir davon halten, wenn wir durch ein Dorf zur Arbeit fahren, und die verursachen da jeden Morgen einen Stau. Und das war der Moment, an dem wir überlegt haben: Okay, wenn wir was erreichen wollen … Und dann haben wir angefangen, genau mit dieser Fragestellung aus Sicht aller Beteiligten … also, die Leute, die hier durchfahren, die Leute, von denen wir etwas wollen, bei denen wir Anträge stellen, und natürlich für alle hier im Dorf, mal zu überlegen, was wollen wir eigentlich? Die erste Frage war, soll es hier eine Ampel geben oder eine Geschwindigkeitsreduzierung. Und die Bürger haben sich sehr klar und mit guten Argumenten dafür ausgesprochen, dass eine Reduzierung der Geschwindigkeit genau das richtige ist. Weil die Ampel dazu geführt hätte, dass Autos stoppen und wieder anfahren, da haben sich die direkten Anlieger hier an der Straße Sorgen gemacht, dass das einfach ein größeres … (Lärmpotenzial, ja) … Lärmpotenzial ist, ja … (Ja, genau) … so, und dann haben wir festgestellt, okay, wir müssen diese Fragestellung im Detail ergründen, aber auch, wie lange wollen wir das mit dem Parken noch machen, ja? … (Richtig) … Wir haben dann irgendwann entschieden, wir wollen nicht eine Feindschaft mit den Leuten, die hier durchs Dorf fahren (…), weil die zur Arbeit wollen, ja. Darum ging es uns gar nicht. Sondern das sind genau so Anwohner in anderen Dörfern, wie wir das hier sind …
Riesenberg-Witte
Auch innerhalb des Ortes gab es die ersten Kritiker, die gesagt haben, wenn ihr das ständig weitermacht, das wollen wir nicht. Denn nachher werden wir immer so als Revoluzzer dargestellt … (Ja)… Gerade vielen Älteren war das unangenehm.
Tietz
Wie oft haben Sie denn diese Blockaden gemacht?
Riesenberg-Witte
Das war ganz gezielt … (Genau) … Wir haben nicht einfach gesagt, wir machen morgen mal ‘ne Parkaktion, sondern es wurde immer gut vorbereitet. Wir haben auch die Bürger vorher informiert.… (Genau)… dass alle Bescheid wussten … ich meine es war zwei, drei Mal?
Nadjib
Vielleicht war es auch vier Mal … (Ja, es können auch vier Mal gewesen sein) … Wir haben halt auch gemerkt, dass die Leute lautstark gehupt haben … (Ja) … Das hat auch … (Ein Hupkonzert) … gezeigt, dass es so ein Eskalationspotenzial, und das wollten wir gar nicht. Wir brauchten diesen Schritt, um die Aufmerksamkeit auch bei unseren Ansprechpartnern auf der Verwaltungsseite erst mal zu erzeugen … (Richtig, ja) … Und dann kamen wir ganz schnell zu juristischen Fragestellungen. Wir haben uns auch anwaltliche Beratung dazu genommen. Und dann festgestellt, wenn wir das durchsetzen wollen, dann müssen wir eigentlich den juristischen Weg gehen. Und daraus ist dann die Notwendigkeit entstanden, eine juristische Person ins Rennen zu führen, nämlich den Bürgerverein Wettmershagen e.V. … (Genau) … das war noch mal eine echte Bestätigung für das, was wir vorhatten. Dass wir aus dem Stand hier mit knapp 50 Mitgliedern diesen Verein gegründet haben.
Riesenberg-Witte
Ja. Und da hat die andere Seite, die Verwaltung gemerkt: Wenn alle diese Dinge, die wir jetzt angeschoben haben, nicht weiter verfolgt werden, dann werden wir, wir haben das quasi angedroht, mit einem Anwalt, der verkehrsrechtlich gut vorbereitet ist, eine Klage vorstellen können. Und dafür mussten wir diesen Verein gründen. Wir haben den Vereinsmitgliedern auch gleich gesagt: Wenn wir wirklich klagen, bedeutet das, dass das Geld kostet. Steht ihr hinter uns? Da war ich sehr erstaunt, weil ich dachte, hm, das könnte eng werden, weil viele sagen, wenn ich jetzt was bezahlen muss, dann hört für mich die Freundschaft auf … (Hm) … da haben aber viele gesagt: Nein. Wenn ihr sagt, dass das uns weiterbringt, dann machen wir das … (Genau) … Und das war eigentlich der Aufhänger, jetzt zu sagen, wir versuchen noch auf die Verwaltung zuzugehen, indem wir sagen: Wollt ihr, dass wir uns an einen Tisch setzen? Oder sagt ihr: Nein, für uns ist die Sache gelaufen. Dann würden wir den Klageweg beschreiten … (Genau)…
Nadjib
Ja, und wir haben immer alles, was wir angekündigt haben, auch konsequent verfolgt. In der Konsequenz gab es dann eine fertige Klageschrift, die um die 30 Seiten umfasst hat, von diesem Juristen mit dem verwaltungsrechtlichen Hintergrund, der sich genau auf dieses Thema vorbereitet hat. Wir hatten das Geld in der Vereinskasse, und dabei sind natürlich auch wieder kreative Ideen notwendig gewesen. Wir haben zum Beispiel hier in Wettmershagen ein Weinfest zum ersten Mal gefeiert, weil wir gesagt haben, so, wir brauchen Geld … (Wir müssen die Kasse irgendwie auffüllen) … Wir brauchen Geld … (lacht) … Und lasst uns doch einfach aus dieser Not was machen, ist ja nicht verboten, wenn es Spaß macht … (Nein) … Und wir haben einfach die Bürger eingeladen zu einem Weinfest. Der Bürgerverein hat es damals ausgerichtet. Es gab ganz viel Engagement, vom Wein aussuchen bis hin zu Zwiebelkuchen, der hier gebacken und verkauft wurde. Also alle haben so ihren Beitrag geleistet. Und das hat Spaß gemacht. Und es ist tatsächlich auch noch mal Geld in die Kasse gekommen, so dass wir die zwei Dinge hatten, die wirklich wichtig waren: Zum einen die fertige Klageschrift, zum anderen das finanzielle Potenzial, um das auch in die Tat umzusetzen. Und dann hatten wir die Unterstützung auch aus der Politik, die gesagt haben: Okay, ich hab verstanden, dass hier in meinem Wahlkreis die Bürger ein echtes Problem haben, und die wollen das formulieren. Und ich, Vertreter aus der Politik, sorge jetzt dafür, dass denen zugehört wird. Und das führte dazu, dass wir dann im zweiten Anlauf in Hannover Gespräche führen konnten mit dem Verkehrsministerium. Wir hatten den Vorteil, dass wir durch die juristische Beratung sehr gut darauf vorbereitet waren.
Tietz
Sie wollten Gesundheit, Sicherheit, Lebensqualität … (Ja) … (Ganz genau) … (Richtig) … Das sind ja eigentlich so ganz tiefe Bedürfnisse, so eine Grundlage … (Genau) … die man als Bürger erwarten kann. Aber Sie mussten das selbst in die Hand nehmen. Also der Schutz durch den, ich sag jetzt mal, Staat, den gab’s nicht.
Nadjib
Das stimmt. Für uns fühlte sich das so an … (Ja) … Wir haben zum Beispiel in den ersten Gesprächen immer wieder als Gegenargument gehört: Naja, es passieren ja keine Unfälle. Warum… (Genau)… sollen wir was tun?
Riesenberg-Witte
Das war, was mich richtig geärgert hat. Weil ich hab gesagt: Wenn man erst drauf wartet, möchten Sie, hab’ ich die Politiker auch gefragt, möchten Sie, dass ihr Kind das erste ist, das dafür sorgt, dass endlich was passiert? Und dann hieß es, ja, Sie sind aber zynisch. Hab ich gesagt: Moment mal. Wer ist denn hier zynisch? Ich hab gesagt, wir haben Glück gehabt bisher. Weil die Menschen hier sehr sorgsam die Straße überqueren. Aber die Situation wird nicht besser, der Verkehr wird immer mehr. Das ist quasi eine Frage der Zeit, dass der erste Unfall passiert mit Personenschäden … (Ja) …
Tietz
Das ist dann dieser … (Unfallschwerpunkt heißt das ja dann) … Unfallschwerpunkt, genau Aber was nie zum Tragen kommt ist diese individuelle, diese subjektive Gefühlslage … (Genau)…
Nadjib
Also diese empfundene Gefährdung, ja. Dass wir als Familie unseren Kindern gesagt haben, ihr dürft nicht auf den Fußweg, ihr müsst, wenn, dann hinten durch das Gartentor rausgehen … (Ja, ihr habt ja die Möglichkeit, das ist ja nicht bei allen so) … Oder dass Kinder idealerweise gar nicht alleine die Straße überqueren. Dass es Situationen gab, wo eine Mutter mit ihrem Kind die Straße überquert hat und angehupt wurde, weil ein LKW ‘ne Vollbremsung machen musste. Das wurde oft abgetan als, ja, individuelle Gefühlsebene. Und dem sind wir begegnet … also, uns war immer wichtig, das zu objektivieren. Und mit Fakten … (zu belegen)… dem zu begegnen. Und deswegen haben wir damals das Polizeirevier in Meine eingeladen und gesagt: Wir würden gerne mal mit Ihrer Unterstützung hier auf der Straße etwas demonstrieren. Und wir hatten uns vorbereitet, haben also mit der Faustformel, mit der man Anhalteweg berechnet bei 50 kmh, bei 30 kmh, haben entsprechende Tranchierbänder in der Länge vorbereitet, und dann hat die Polizei die Straße kurzzeitig abgesperrt, und wir haben dieses Tranchierband von der Verkehrsinsel ausgehend, wo man die Straße überquert, mal ausgelegt in … (beide Richtungen) … um die Kurve herum, ja … (beide Richtungen) … Um dann zu sehen, dass man wirklich keine Chance hat, den Fußgänger, der versucht die Straße zu überqueren, als Autofahrer rechtzeitig zu sehen. Weil der Anhalteweg viel zu lang ist bei 50 kmh. Und dann sind wir ganz schnell von der subjektiven Empfindung bei Fakten. Ja, und ich denke, die haben am Ende auch die Entscheidungsträger überzeugt.
Riesenberg-Witte
Noch eine Sache, die damals wichtig war: Dass wir mit der Polizei gemeinsam auch Pkw und LKW angehalten haben. Und haben die mal befragt: Warum sie hier durchfahren. Ob es nicht auch Alternativen gibt, gerade bei den LKW. Und da merkt man eben, so war mein Eindruck, bei vielen LKW-Fahrern, dass sie sagten, ja, das könnten sie nicht so genau sagen. Oder dürften das nicht sagen. Das ist mir aufgefallen, weil das natürlich auch ein bisschen den Verdacht nährte, den wir ja auch schon hatten: Dass aufgrund der eingeführten Maut hier, also diese Mautpreller, wie man so schön sagt, die das letzte Ende der A 2 sich sparen … (Es ist ja auch in keiner Weise verboten …) … Nein … (Die dürfen ja hier durchfahren) … Ist so … (also es gibt ja kein Verbot für LKWs) … Genau. Und wie gesagt, diese Aktion, die hat das so ein bisschen bestärkt, wo wir gemerkt haben, ja, es ist durchaus den Fahrern bewusst, aber andererseits sind sie in einer Zwickmühle. Denn sie wissen, dass ihr Arbeitgeber oder der Spediteur sagt ihnen, du fährst da lang … (Genau) … Punkt.
Tietz
Also, eine Geldfrage … (Ja)
Riesenberg-Witte
Aber sie wurde eben abschlägig – nach offizieller Anfrage, von VW, die wir ja auch angefragt haben – wurde das, nein … es hätte niemals eine Anweisung hier gegeben, nicht die Autobahn zu benutzen. Also, das wäre eine subjektive Wahrnehmung unsererseits. So (…)
Nadjib
Genau. Wir liegen an einer Hauptverkehrsstraße, das ist uns ja bewusst. Dass wir den Straßenverkehr hier gar nicht rauskriegen. Sondern es ging wirklich … (Ja) … um das Miteinander. Deswegen das Tempo 30. Und es war auch ein Argument von uns, dass wir immer angeführt haben, dass wir gesagt haben: Naja, diese Ortsdurchfahrt umfasst rund 500 Meter. Wenn jemand auf diesen 500 Metern seine Geschwindigkeit … (reduziert) … von 50 kmh auf 30 kmh anpasst, dann ist der Zeitverlust wirklich überschaubar gering. Das ist nicht mal eine Minute. Ja, das waren wieder Fakten, die wir mit in die Argumentation eingeführt haben, um auch für Verständnis zu sorgen. Und auch für eine gewisse Bereitschaft, die das Verkehrsministerium dann auch mitmacht. Und ich glaube, was entscheidend war, wir haben dann verstanden, dass es wichtig ist, die besondere Situation, die wir hier im Dorf haben, einmal klar darzustellen. Denn es ist logisch, das Verkehrsministerium, die Verwaltung, die haben ein Konzept, wie Verkehr funktionieren soll. Und wie das auf einer Hauptverkehrsstraße funktionieren soll. Und dass wir als Dorf jetzt sagen, wir würden den Verkehr gerne an unserer Stelle bremsen, das passt nicht in das Konzept. Ja, das ist ein Standard, der kann Besonderheiten so gar nicht berücksichtigen, wie sie bei uns im Dorf existieren. Das war Teil des Spitzengesprächs dann mit dem Verkehrsministerium … (Ja, kann man so sehen) … Dort diese Kriterien einmal auf den Tisch zu legen und zu sagen: wir haben eine sehr kurze Ortsdurchfahrt, die hat die Eigenschaft, dass sie sehr kurvig ist, dass sie gleichzeitig … (unterschiedliche Höhenmeter hat) … unterschiedliche Höhenmeter hat, das heißt, ohne dass die Verkehrsteilnehmer das wollen, sind sie potentiell immer ein bisschen schneller, weil das Auto einfach, oder der LKW, ein bisschen schneller rollt. Wir haben keine sehr breit ausgebauten Fußwege, was die Situation verschärft. Man kann das auch sehen, wenn man sich die Bordsteinkanten anschaut, dass man … (das ist noch nicht mal ein Meter breit )… Man sieht, dass die auch sehr abgenutzt sind. Ja, das heißt, da fahren schon mal Fahrzeuge auch durch den Rinnstein und berühren den Bordstein. Und es gab glücklicherweise keine Unfälle in den letzten zehn Jahren, keine mit Personenschäden … (Mit Personenschäden, das genau) … Aber es gab durchaus Unfälle, die immer glimpflich abgelaufen sind, und das wollen wir halt auch nicht weiter dem Zufall überlassen. So, diese Argumente haben wir vorgetragen und …
Riesenberg-Witte
... und wir haben ja auch noch im Vorhinein eine eigene Verkehrszählung auf eigene Kosten durchführen lassen. Und wir haben festgestellt, dass diese Messungen das bestätigt haben, was subjektiv unser Empfinden war. Dass die Verkehrslast sehr hoch ist … (Auch was das Tempo angeht? Oder nur die Masse?) … (Auch was das Tempo angeht) … auch was das Durchschnittstempo angeht, es waren Ausreißer dabei, mit 70 kmh muss jemand durchgefahren sein oder so, die gab's natürlich schon mal, aber in der Regel war das immer in einem Bereich von, sag ich mal, 45 bis 65 … (Ja) … Mal schneller, mal langsamer. Aber die Verkehrsmenge, haben wir gesagt, die war unstrittig. Das waren auch Fakten, die waren sehr wichtig bei der Bewertung einer Belastung. Einmal ist es die Verkehrsmenge, die das Überqueren schwer macht, und dann ist es der Lärm. Das haben wir nämlich als nächsten Schritt noch vorgehabt. Das hätten wir auch mit der Klage dann eingereicht: Eine Lärmmessung. Das hatten wir uns vorbehalten als nächsten Schritt, wenn bestimmte Dezibelwerte überschritten werden, muss die Behörde tätig werden … (Ja) … Das ist eine Pflicht. Aber dazu ist es ja erst gar nicht gekommen, weil wir dann ja schon vorher diesen Schritt auf das Ministerium zu gemacht haben.
Tietz
Da gab es auch irgendwann mal, um noch mal an die Aktionen anzuknüpfen, 30 kmh-Schilder, die hier plötzlich auftauchten. Haben Sie damit zu tun gehabt?
Nadjib
Ich würde mal sagen, dass waren Fans der Sache.
Riesenberg-Witte
Das waren Unterstützer, die es gut gemeint hatten.
Tietz
Das heißt, die Straße runter war durchgehend plakatiert oder beschildert mit 30 kmh… (Genau)…
Nadjib
Das waren richtige 30 kmh-Verkehrsschilder, die dann hier über Nacht … (über Nacht) … erschienen sind. Und ja, also … Natürlich, uns als Bürgerverein, wir haben uns schon darüber gefreut, weil das die Sache unterstützt hat. Tatsächlich hat es aber auch leider nicht lange gehalten. Also es gab dann einen Zeitungsbericht und einen Tag später … (Wurden sie wieder abgebaut) … kam die Straßenverkehrsbehörde und hat die Schilder abgebaut.
Riesenberg-Witte
Also, man weiß bis heute nicht, wer sie aufgestellt … also, ich weiß es nicht. Ich hab auch nicht nachgeforscht. Aber das ist ja nicht ganz billig gewesen. Man muss sich die Schilder ja erst mal besorgen. Die kosten ja ein bisschen was.… (Kann man sich so vorstellen…) … Jaja, und die sind dann nachher abgeholt worden, und das heißt, derjenige hatte auch einen Verlust. Aber das zeigt ja, dass die Verzweiflung schon relativ groß war. Und je länger es dauerte, wir haben das auch in den Diskussionen von Jahr zu Jahr in den Versammlungen, die wir hier hatten, in den Mitgliederversammlungen, immer wieder zu hören bekommen: Leute, wir haben das Gefühl, es geht irgendwie nicht weiter. Wir reden jetzt schon wie viel Jahre drüber, und was macht ihr eigentlich im Vorstand? Seid ihr noch dran? Oder habt ihr schon aufgegeben? Ja. Und das war immer unsere Diskussion: Was können wir denn noch tun, damit die Mitglieder das Gefühl haben, die sind dran. Wir müssen jetzt noch ein bisschen Geduld haben … (Ja)… Denn du hast das einmal ganz deutlich gesagt, Tobias, das fand ich sehr beeindruckend. Wie einige aufgestanden sind, und man muss doch mal auf den Tisch hauen, man kann sich doch nicht ewig hier an der Nase rumführen lassen, die waren richtig aufgebracht. Und da hat Tobias als Vorsitzender dann gesagt: Leute, ich glaube nicht, dass wir mit dieser Haltung bei der Behörde irgendwelche offenen Türen einrennen. Es werden alle Türen zugeschlagen. Wir kommen keinen Schritt weiter. Wir müssen jetzt über Diplomatie, über die politische Ebene kommen. Und ich glaube, das war auch das Zünglein an der Waage, was uns letztendlich weitergebracht hat, dass wir es geschafft haben, die politischen Vertreter dafür einzunehmen. Wir haben ja alle angeschrieben. Einige wenige haben darauf reagiert. Und einer hat eben auch gesagt: Ich kümmere mich. Da war ich erst skeptisch. Das haben die Politiker schon häufiger … (Richtig) … Wir wussten aber auch – das haben wir dann auch so deutlich formuliert – das war kurz vor der Wahl. Wir haben gesagt, daran messen wir euch. Oder speziell dich jetzt. Wenn du sagst, du kümmerst dich. Ob auch wirklich in Hannover und an den Stellen, wo auch wirklich was bewegt werden kann, von eurer Seite aus auch was passiert.
Tietz
Aber aus der Chronik Ihres Widerstand meine ich heraus gelesen zu haben, dass die Klage sozusagen am Horizont stand … (Ja, die war vorbereitet) … (Die war fertig) … Aber die kam dann nicht zum Einsatz, weil dann eingelenkt wurde. Seitens des Verkehrsministers … (Ja genau) … (Richtig)…
Riesenberg-Witte
Du kannst ja mal sagen, wie das im Vorfeld war. Dieser Landtagsabgeordnete hat ja dann dich kontaktiert. Und hat dir gesagt, es besteht hier eine Möglichkeit. Ist das richtig? … (Lass uns mal miteinander sprechen)… Ich nehme noch einen Versuch, der Verkehrsminister ist bereit dazu. Wir führen ein Gespräch. Aufgrund der speziellen Lage, die ihr habt, ihr habt es sehr gut dargelegt, das leuchtet mir als Vertreter hier absolut ein. Und wir versuchen, dieses Gespräch wahrzunehmen.… (Genau)…
Tietz
Um da noch mal anzuknüpfen: Es ist ja so, dass man hier eine Verkehrssituation hat, die als bedrohlich, die als belästigend wahrgenommen wird … Der Verkehr übernimmt die Vorherrschaft im Dorf, kann man da so sagen?
Nadjib
Ja, das ist tatsächlich so. Jetzt sind wir natürlich auch alle mit der Kfz-Industrie sehr stark verbunden. Ich glaube, dass jeder von uns dafür Verständnis hat, dass hier Autos durch das Dorf müssen. Das, was aber tatsächlich das Dorf sehr stark beeinflusst hat, war, dass diese Straße, die da mitten durch geht, eigentlich das Dorf trennt … (Richtig, das wollte ich gerade sagen, es teilt das Dorf, Alt- und Neubewohner) … genau. Und das ist etwas, was uns schon auch sehr gestört hat. Wir haben mal ein Dorffest gemacht. Man darf, das habe wir auch festgestellt … (Straßenfest!) … in der Recherche, dass man einmal im Jahr ein kulturelles Fest machen darf, zu dem dann auch Straßen gesperrt werden dürfen. Und wir haben an diesem Tag dann komplett die Ortsdurchfahrt gesperrt. Und hier sind Kinder auf der Straße unterwegs gewesen, es gab viel zu erleben und zu entdecken … (Skaten und so) … Es wurde mit Kreide auf der Straße gemalt. Und das Dorf ist zusammengekommen. Das war für uns alle wirklich ein ungewohntes Bild, ja. Das fühlte sich extrem komisch an … (Wir haben hier vorne ja gesessen und konnten auf die Straße gucken, es fuhr hier kein Auto durch, das habe ich noch nie erlebt, das ist das erste Mal) … Und dennoch fühlt sich das komisch an, auf dieser Straße zu stehen. Weil das ja eigentlich ein Ort ist, an dem man immer nur denkt, okay, hoffentlich passiert nichts. Ich glaube das trifft es vielleicht, dass wir sagen wollten: Lasst uns einen Weg finden, wie das hier ohne Gefährdung und in einem vernünftigen Miteinander funktioniert.
Tietz
Ja, das haben Sie ja geschildert, das ist ja sehr erfolgreich gewesen. Also Sie sind schnell darauf gekommen, dass man durchaus auch versöhnlich sich geben muss. Dass man strategisch geschickt vorgehen muss. Dass man aber auch Druck ausüben muss, also juristischen Druck, um ernst genommen zu werden. Und natürlich, man muss zeigen: Es sind nicht nur, wie Sie vorhin sagten, drei Spinner, sondern das sind hier schon ein paar mehr.
Nadjib
Ja, der Dorfzusammenhalt, der hat wirklich ganz viel gemacht. Im Prinzip hat sich das Dorf selbst etwas geschenkt mit diesem Bürgerverein .…
Riesenberg-Witte
Ja, das kann man vielleicht auch daran deutlich machen: Es hat sich dadurch auch, finde ich, verändert. Wir haben durch diese Zusammenkünfte, durch diese Straßenfeste, durch diese Veranstaltungen des Weinfests, was wir jetzt dann wiederholt haben – wir haben das jetzt bis 2019 jedes Jahr gemacht, mit immer größeren Erfolg. Dass die Dorfgemeinschaft auf mal sagte: Eigentlich, ich hatte mal gedacht, der Bürgerverein ist so ein Krawallverein, die machen immer so viel Stress hier oder so. Nee, eigentlich sind es ja super Leute. Die führen ja was zusammen. Da ist Ihnen erst aufgefallen, dass man sich überhaupt erst kennengelernt hat. Die Neuen, die hingezogen sind, und die Alteingesessenen haben durch diese Aktion eigentlich erst zusammen gefunden. Und das haben sie als sehr wohltuend empfunden. Und haben uns ermuntert, auf jeden Fall auf dieser kulturellen Schiene weiterzumachen. Das hat sogar dazu geführt, dass wir nach dieser Entscheidung dann auch gesagt haben: Um den Verein nicht obsolet zu machen, sollten wir auf jeden Fall auch die Satzung ändern. Wir haben ja dann auch 2018 die Satzung daraufhin geändert, dass wir eben auch kulturelle Arbeit fördern. Das heißt, wir haben ein bisschen musikalische Veranstaltungen, wir haben Theaterveranstaltungen gehabt, wir machen hier Kinoabend. Es entsteht eine vollkommen neue Qualität durch eigentlich eine Initiative, die ursprünglich mal was anderes vorhatte. Die haben wir quasi erweitert, und wir haben sie als Vorreiter benutzt. Und ich muss sagen, das war auch für mich ein Grund, jetzt zu sagen: Jetzt sehe ich auch, dass man weitaus mehr bewegen kann, wenn man sich engagiert als Bürger, als wenn man immer nur meckert. Und sagt, das finde ich alles nicht so toll. Oder die Konsequenz dann sagt: Ich ziehe weg, weil es mir zu gefährlich oder zu laut oder sonst was ist.
Tietz
Also ein Sieg auf der ganzen Linie (…)
Riesenberg-Witte
Ein leiser Sieg! Das war Bedingung auch damals bei den Verhandlungen, dass wir auf diplomatischem Wege mit dem Verkehrsministerium gesagt haben, wir machen hier keine tolle Welle. Wir laden hier nicht die Bild-Zeitung ein. Oder sonst wen. Sondern wir nehmen das sehr erfreut zur Kenntnis … (Genau) … Und wir bemühen uns darum an der Stelle, jetzt auch nicht im Nachhinein große Aktionen hier zu fahren, weil wir das nicht gefährden wollen. Weil wir einfach dieses Entgegenkommen, was für uns jetzt auch sichtbar umgesetzt wurde bis hin zu den Schildern, dass wir gesagt haben, das möchten wir nicht gefährden. Deshalb haben wir uns jetzt damit abgefunden, sag ich mal so, und widmen uns jetzt mehr der kulturellen Arbeit in diesem Verein … (Hm) …
Tietz
Also Sie sind jetzt so eigentlich ganz zufrieden. Was die Verkehrssituation betrifft … (Da würde ich gern noch was zu sagen) …
Riesenberg-Witte
Das wäre ja schlimm, wenn man jetzt schon zufrieden ist. Wir haben ja noch andere Ideen gehabt. Das hing ja mit der Ampelanlage mal zusammen. Da sind viele Dinge auch, die jetzt aber langsamer sich bewegen, die nicht mehr so dringend sind, weil durch diese Geschwindigkeitsreduzierung wir eine deutliche Entlastung in vielen Situationen … (Das heißt, Tempo 30 funktioniert auch wirklich?) … (Ja, das funktioniert) … Und vielleicht kann man das auch noch mal erwähnen: Wir haben nicht nur am Ortseingang und -ausgang von beiden Seiten eine Geschwindigkeitskontrolle, eine Messtafel, sondern wir haben aus eigenen Mitteln aus dem Verein innerhalb des Ortes noch eine aufgestellt. Genau an den Stellen, wo Du vorhin nämlich sagtest, wo der Verkehr wieder, weil es bergauf geht, wieder Fahrt aufnimmt. Dran erinnern: Hallo, bist noch im Ort. Du fährst schneller als 30. Das rote Männchen.
Tietz
Also, auf 500 Metern drei Tafeln … (Drei Geschwindigkeitstafeln, genau)… Eine von Ihnen finanziert und die beiden andern, alle… (Zwei von uns, also vom Bürgerverein finanziert, und eine von der Gemeinde, genau) …
Nadjib
Und was vielleicht noch wichtig ist, Friedrich. Die Frage: Siegesfeier. Da wird es dann sehr schnell vereinfacht. Dann muss es ja auch Verlierer geben. Und ich glaube, es gab in diesem Fall tatsächlich keine Verlierer. Es hätte Verlierer gegeben, wenn das erst juristisch geklärt werden hätte müssen. Da muss man viel Geld bezahlen, und am Ende muss ein Gericht entscheiden. Das, wie wir das hier regeln konnten mit allen Beteiligten, hat dazu geführt, dass wir uns eigentlich diesen Aufwand gespart haben. Und dass es auch eine große Anerkennung gab für diejenigen in der Verwaltung, die einfach den Bürgern, dem Bürgerverein mal wirklich zugehört haben. Verstanden haben, worum es geht. Und darauf basierend, eine abgewogene Entscheidung getroffen haben. Und das hat aus meiner Sicht dazu geführt, dass auch wirklich die Leute zufrieden waren. Und wie wir dann einfach, so wie Friedrich das eben auch gesagt hat, uns, für uns gefreut haben und keine große Welle machen mussten. Und auch diese spezielle Situation, die dieses Dorf hat, die wäre in so einer Vereinfachung vielleicht auch gar nicht rüber gekommen. Es ist nicht in jedem Dorf, dass an der L 321 liegt, genauso wie bei uns. Sicher ähnlich gelagerte Probleme, die muss man sich aber auch immer einzeln angucken und verstehen, wie kann man dort Probleme lösen.
Tietz
Aber es ist ja eben so, dass die Wettmershäger Situation hier eine ganz spezielle ist, wie sie schon beschrieben haben: Diese Kurven und die Tallage. Und dass das aber eben auch lange negiert wurde als Besonderheit, sondern es wurde immer gesagt: Wieso, ist doch hier alles in Butter. Ich hab hier auch noch so ein Statement von dem damaligen Verkehrsminister Bode, der auf eine Stellungnahme einging, wieso keine Auffälligkeiten, keine Besonderheiten und so weiter. Aber dann war eben auch erkennbar: Der Grund für die Zurückhaltung, auf ihre Forderungen einzugehen oder sehr schnell einzugehen, lag eben in der Angst, es könnte Nachahmer finden woanders. Vom Präzedenzfall war hier die Rede in der Straßenbehörde … (Richtig, das haben wir uns häufiger angehört) … Ich hab hier sogar das Wort Flächenbrand aufgeschrieben, von Wettmershagen dürfe kein Flächenbrand ausgehen, das war tatsächlich, das hat der damalige Leiter der Landesbehörde … (In Wolfenbüttel) … (Können wir uns dran erinnern) …
Riesenberg-Witte
Die Sitzung, das ist diese ominöse Sitzung, wo wir beide rausgegangen sind und sagen, das kann nicht wahr sein … (Ja) … Das kann einfach nicht wahr sein, wie Menschen argumentieren. Ja. Also diese Argumentationslinie: Wo kämen wir denn dahin, wenn alle, die an dieser Straße liegen, jetzt auch Tempo 30 fordern. Und wir müssten dem dann ja zustimmen. Und da haben wir immer wieder gesagt: Nein, das haben wir nie behauptet. Wir haben immer nur gesagt, wir haben hier eine ganz besondere Situation. Und wir kennen diese Strecke sehr gut. Das gibt es in keinem anderen Ort, wo eine Situation so unübersichtlich ist, dass wir aus diesem Grund diese Tempo 30 Zone fordern. Aber wir haben niemals gesagt, wir wollen hier für alle, die an der L321 sind, so ‘nen Präzedenzfall schaffen. Davon war nie die Rede. Ich glaube, Sie haben dieses Argument nur angeführt – das war mein Eindruck damals –, um uns die Absurdität unserer Vorstellung vor Augen zu führen. Und gesagt, Leute, ihr habt überhaupt keine Ahnung, was ihr da gerade macht. Aber wir hören euch trotzdem zu. Das hat mich wahnsinnig geärgert. Diese Arroganz von Behördenleitern an der Stelle, weil sie glaubten, sie sind auf der sicheren Seite. Ihnen kann überhaupt nichts passieren. Sie brauchen nur nein zu sagen. Dann ist die Sache erledigt. Sie haben, deswegen – noch mal der Unterschied – sie haben, im Gegensatz zu den politischen Vertretern, nicht genau zugehört. Sondern sie haben nur sofort pauschalisiert. Und ich fand es interessant, was Du erzählt hast, auch dort in Hannover, im Verkehrsministerium: Dass der Referent das auch ein bisschen anders sah als der Minister. Das zeigt, dass solche Befürchtungen, solche Allgemeinplätze immer gerne benutzt werden, um ein spezielles Problem, dass in diesem Fall vorlag, genau zu betrachten. Und deswegen sag ich, das unterstütze ich noch mal, was da eben auch Tobias sagte, dass wir an der Stelle wirklich darauf geachtet haben: Wir haben eine besondere Situation. Und die haben wir versucht immer genauer und immer enger und präziser darzustellen. Und ich glaube, dadurch ist auch im Verkehrsministerium erst der Eindruck entstanden, die meinen es wirklich ernst. Die haben sich jetzt wirklich lang damit beschäftigt. Das ist nicht so eine Sache. Also das machen wir mal.
Tietz
Das wurde ja sogar in der Begründung durch den Verkehrsminister erwähnt: Die haben sich jetzt so lange da eingesetzt … (Intensiv und ja) …
Riesenberg-Witte
Und das ist für ihn – das fand ich auch schön – nachvollziehbar. Er hat gesagt: Er kann sich die Situation wirklich vorstellen. Er ist noch nie da gewesen, aber das ist so plastisch dargelegt worden, mit den entsprechenden Werten und Fakten, die wir vor gelegt haben, dass das für ihn eine ganz klare Sache war. Und das finde ich schon, dass Menschen an der Stelle, wo sie auch einen gewissen Einfluss haben … (Das ist die Verantwortung) … Das ist ihre, genau. Und da habe ich gemerkt, Es gibt noch Menschen, die haben eine Verantwortung. Das fehlt uns leider manchmal so im Lande, oh Mann (…)
Tietz
Für mich als Außenstehenden, ich finde das toll, wie sie das hingekriegt haben, natürlich. Ist ja auch ziemlich einmalig. Glaube ich, zumindest in Niedersachsen, dass auf einer Landesstraße in einer Ortsdurchfahrt Tempo 30 eingeführt wird. Andererseits sehe ich natürlich viele andere Menschen, in anderen Dörfern, in anderen Ortsdurchfahrten, deren Situation vielleicht nicht ganz so zugespitzt wie hier bei Ihnen. Da müsste man ja davon ausgehen, die müssen mindestens den gleichen Aufwand treiben gemessen an ihrer Situation. Also was können andere von Ihnen lernen? Oder ist das einfach zu speziell gewesen hier bei Ihnen?
Nadjib
Ich würde den anderen gerne Mut machen. Und zwar dahingehend, dass sie die Argumente wirklich sammeln, die für ihre Situation sprechen. Und dass sie diese Argumente vorbringen, so wie wir das auch gemacht haben. Und sich nicht vom ersten Widerstand abschrecken lassen. Wir haben es mit Experten zu tun gehabt, Friedrich hat das ja eben gesagt, die wollten gar nicht mit uns reden, die wollten nicht mal von uns angesprochen werden. Wir als normal Bürger maßen es uns an, Argumente vorzubringen in deren Fachexpertise. Ja, das passte nicht in deren Welt. Deswegen hatten die da keine Lust drauf. Und das ist der Mut, den ich den Menschen zusprechen möchte, die in ähnlichen Situationen sind: Bitte nicht davon abschrecken lassen, sondern ernsthaft dranbleiben und weitermachen. Und auf der anderen Seite sind natürlich auch die Menschen in der Verwaltung. Wir haben eben über Verantwortung gesprochen. Die haben die Verantwortung, dass das Zusammenleben hier bei uns in Niedersachsen, in Deutschland gut funktioniert. Und dann müssen Sie, und da brauchen Sie auch Mut dazu, mal die Argumente der Bürger, der Anwohner, die für ihre spezielle Situation etwas vortragen wollen, diese Argumente müssen sie auch so anhören, dass sie sie auch verstehen wollen. Wenn am Ende nicht in jedem Fall so entschieden werden kann, dann wird man damit aber immer besser umgehen, eine Entscheidung auch zu akzeptieren, wenn ich das Gefühl habe, oder verstanden habe, dass ich angehört werde. Dass ich alle Argumente vorgebracht habe. Und dass im Rahmen eines Konsens dann eine Entscheidung getroffen wird. Und das ist etwas, was ich mir sehr wünsche von den Politikern, dass die einfach den Mut haben, dort mal zu zu hören. Wir haben damals auch argumentiert, dass wir gesagt haben: Lass uns das doch mal zeitweise ausprobieren. Was passiert denn, wenn wir mal für ein halbes Jahr… (Projektphase) … oder für ein Jahr, eine Testphase machen. Und das ist der Mut, denn die Menschen in der Verwaltung brauchen, dass sie solche Wege gehen, einfach solche Dinge ausprobieren und nicht immer gleich Angst haben, dass ein Flächenbrand entsteht, nur weil Bürger ihre spezifischen Interessen vertreten. Das ist einfach berechtigt. Jeder will hier gut leben.
Riesenberg-Witte
Wo man auch anderen Initiativen Mut machen kann, ist, dass wir an einem Punkt mittlerweile sind, ich sage jetzt 2022, wo nicht nur Klimaschutz ganz oben steht, sondern wo wir uns auch überlegen müssen, ob der Individualverkehr, so wie er bis heute läuft, eine Zukunft hat. Und ich denke, wenn man vielen Menschen, die in Mobilitätszusammenhängen zu tun haben, genau zuhört, dann wird man da raus hören, da ist so ein Punkt erreicht, wir haben so einen Peak erreicht, wo das jetzt wieder abnehmen muss. Wir müssen uns andere Konzepte überlegen. Das heißt, wenn ich höre, von VW Managern, die das haben auch schon mal durchblicken lassen, vielleicht nicht so offiziell, aber schon hinter den Kulissen wird eifrig drüber nachgedacht, dass diese Art und Weise der Mobilität keine Zukunft hat in Deutschland. In so einem eng besiedelten Land muss es andere Möglichkeiten geben. Und ich glaube, wenn wir über diese Dinge weiterdenken, dann sind wir da schon vielleicht ein bisschen Vorreiter, dass wir nachher merken, je mehr wir verkehrsberuhigte Zone schaffen, je mehr wir Lebensqualität in Ortschaften, in den Vorstädten, wo auch immer diese Konflikte ja noch viel viel schärfer sind, schaffen, desto mehr Wohnqualität und desto mehr Zufriedenheit entsteht ja auch gerade in dem Hinblick, dass wir eine nicht nur gefühlte, sondern eine reale Schere haben, wo arm und reich so auseinandergehen. Dass viele Menschen natürlich auch sagen, wie soll ich zu meinem Arbeitsplatz kommen, wenn ich das Auto nicht mehr nutzen kann. Das heißt, diese Diskussion, die wird sich vielleicht auch irgendwann von alleine erledigen, weil ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, wo dieses langsam wieder zurückgeführt werden muss. Das wird nicht von heute auf morgen passieren, aber es wird sich auf lange Sicht hin verändern. Und da glaube ich, wenn man da den Mut auch anderen Initiativen zusprechen kann, wenn man da dran bleibt und appelliert, dass man da zu einer Lösung findet, die ein Stück weit vielleicht auch Kompromiss ist, dass man ein kleines Stück Tempo 30 macht und den Rest so lässt oder was auch immer. Ich glaube, die Verwaltungen müssen sich darauf einstellen, dass es dort in Zukunft Veränderungen geben wird. Da bin ich mir ziemlich sicher.
Tietz
Ich möchte anknüpfen an das Wort Verantwortung. Sie haben ja die Politiker oder die Behörden erwähnt. Sie sprachen auch von der Autoindustrie, also dem Management. Sie haben ganz am Anfang gesagt: Wir wollen uns nicht mit den Autofahrern anlegen, die hier durch müssen, wollen. Wahrscheinlich, interpretiere ich jetzt mal so, sie sind selbst Autofahrer … (ja klar) … (wir fahren auch durch Orte durch) … ist ja immer, bei den allermeisten Initiativen das Dilemma, so sag ich mal, die sagen dann: Ja, wir haben eine bestimmte Infrastruktur, also Straßen, die alle sehr gut funktionieren. Die nutzen wir, was können wir dafür, dass es so eine gute Infrastruktur … wir benutzen die ja nur. Aber was ist mit der Verantwortung des Einzelnen Autofahrers. Haben Sie da auch mal drüber diskutiert… (Ja)… (Ja genau)… Sie haben es ja schon ein bisschen angedeutet, ich muss mir vielleicht mal überlegen… (Ja genau)… Ja sagen Sie mal …
Riesenberg-Witte
Das wäre jetzt das Thema: Alternativen. Da haben wir das Thema hier schon angestoßen, da sind wir nämlich auch dran: Fahrradweg. Einen kompletten Fahrradweg, der für viele, die aus der näheren Umgebung von Wolfsburg kommen, dass die, gerade im Zuge des E-Fahrrads, sagen, warum soll ich denn nicht meine Gesundheit fördern. Und ich kann sicher in einer Straße lang fahren, wo ich keine Angst haben muss, dass ich von einem LKW überfahren werde. Das ist das Argument. Und hier sind so viele Lücken momentan noch, die müssen nach und nach geschlossen werden, Das heißt,: ein komplettes Fahrradnetz zum Beispiel von Braunschweig nach Wolfsburg. Das in Teilen schon existiert, aber das auch weit rüber nach Gifhorn, was weitaus besser ausgebaut werden muss. Und da sind wir, das ist unsere nächste Aufgabe jetzt auch mit dem Bürgermeister. Sind wir da dran, dass dort weiterhin wirklich auch vom planerischen her nachgedacht wird in welchen Zeithorizont kann man das einrichten … (aber das ist schon Zukunftsmusik) …
Tietz
Aber wie ist jetzt der Appell an die Autofahrer. Aus der eigenen Sicht als Autofahrer auch, aber andererseits hier mit dieser Erfahrung eines sechs Jahre langen Kampfes, was ist die Verantwortung des Autofahrers?
Nadjib
Sich selbst vor Augen halten, was wäre, wenn ich an dieser Straße wohne. Mit meiner Familie. Oder einfach nur als Mensch. Und wie würde sich das für mich anfühlen, wenn jemand so an meinem Haus vorbei fährt wie ich das gerade in diesem Moment tue. Ich glaube, das ist etwas … da muss man tatsächlich auch mal aufmerksam sein. Wir haben also festgestellt, damals bevor wir die Geschwindigkeitsbeschränkung hatten, dass vielen Autofahrern gar nicht bewusst war, wie gefährlich die Situation ist, wenn sie hier mit 50 oder 60 kmh durch das Dorf fahren. Das macht ja keiner mit Absicht. Niemand möchte absichtlich jemand anderen gefährden. Und das war auch eines der Argumente, warum wir immer gesagt haben, da müssen Tempo-30-Schilder hin. Denn das ist den Autofahrern gar nicht bewusst, dass 50 oder 60 kmh … (So schnell ist)… Viel zu schnell ist… (Ja)… Es gab hier einen schweren Unfall, mit einem LKW, der ist nachweislich genau 50 kmh gefahren. Und damit war klar, das ist zu schnell.
Riesenberg-Witte
Dem ist da die Ladung verrutscht, dadurch ist der komplett umgekippt auf der Fahrbahn …
Nadjib
Ich bin in der Feuerwehr, wir haben oft dann auch bei diesen Unfällen geholfen, die Ölspuren abgestreut und solche Dinge gemacht. Wenn wir dann mit dem Fahrer gesprochen haben, die waren immer total überrascht, dass das schief gegangen ist. Weil ihnen gar nicht bewusst war, dass sie etwas falsch machen. Dass sie gefährlich fahren. Und ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Appell: Wir müssen uns, gerade bei diesen modernen Fahrzeugen, mit denen wir unterwegs sind, doch immer noch mal bewusst machen, dass die physikalischen Grenzen trotzdem gelten.
Riesenberg-Witte
Auch wenn mein Auto ganz leise ist, ich kaum den Motor höre und kaum ein Geräusch von draußen wahrnehme, trotzdem bin ich dann zu schnell. Und ich glaube, die meisten haben mittlerweile auch verstanden dadurch, das geht einem selber ja auch so, dass man sich selber auch ganz anders in Ortschaften verhält. Mir ist das bewusst geworden, seitdem wir diese Jahre jetzt gemeinsam kämpfen, sagt meine Frau auch immer wieder: Ist ganz erstaunlich, dass du jetzt langsam fährst. Früher bist du schneller durch die Orte gefahren. Ich sage, ja, weil es mir nicht bewusst war. Und dieses Bewusstsein dafür entwickelt man, glaub ich, erst, wenn man sich damit auseinandersetzt. Und ich glaube, das wäre mein Wunsch und mein Appell an die Autofahrer: Denkt immer dran, so wie Tobias das eben sagte. Ihr wohnt an so einer Straße, ihr habt Kinder, die hier spielen, die aus Versehen einem Ball hinterher laufen, die haben keine Chance bei 50.
Nadjib
Und wenn wir uns noch was wünschen dürfen: Ich hätte den Wunsch, dass Autofahrer wirklich die Finger vom Handy lassen. Das haben wir hier oft beobachtet in Wettmersagen, dass (..) trotz gefährlicher Kurve und trotz des hohen Verkehrsaufkommens, dass Leute, auch LKW-Fahrer als Berufskraftfahrer, ihr Handy in der Hand haben. Das geht wirklich überhaupt nicht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie jemand damit seinen Frieden machen möchte, wenn er in so einer Situation tatsächlich einen Unfall verursacht und Menschen zu Schaden kommen. Das muss man sich einfach immer klarmachen: Finger weg vom Handy. Und Augen auf die Straße, auch wenn es ein anstrengender Arbeitstag war, und ich will nur nach Hause, trotzdem muss ich Rücksicht nehmen auf die anderen.
Riesenberg-Witte
Jemand, der hier … (das ist der große Irrtum) … mit 62 km/h durchfährt, hat nichts mehr im Griff … (selbst wenn es 52 sind, ist es auch immer noch zu schnell) … ich habe das dann im Griff, solange alle Anwohner in Wettmershagen diesen Gefahrenort meiden und kein Kind auf die Idee kommt, die Straße an der Fußgängerinsel zu überqueren. So lange geht es gut, aber …
Nadjib
Was die Behördenvertreter an der Stelle nicht berücksichtigen, ist, dass nicht wohl überlegt die Straße überquert wird, sondern dass die Situationen eintreten können, wo a) der Autofahrer nicht hundertprozentig aufmerksam durch einen Ort fährt. Und b) Kinder oder ältere Leute vermeintlich glauben, es ist sicher und betreten die Fahrbahn, aber es ist nicht sicher. Ich glaube diese beiden Momente kommen da zusammen. Und die dann zu einem verheerenden Unfall führen können. Und ich habe schon Situationen hier gehabt, wo ich damals, wo unsere Kinder klein waren, sie festgehalten habe. An der Jacke … (Genau) … Weil sie der Meinung waren, es kommt keiner. Und sie waren schon halb auf der Fahrbahn. Und das ist immer so ein Grund, wo man merkt, wenn man nicht aufmerksam genug ist, dann passieren solche Dinge.
Tietz
Ich hatte sogar gerade die Situation auf dem Weg hierher in Meine, Ortsausgang: Mutter mit ihrem Kind, ein sehr kleines Kind, was frei lief. Ich sehe diese Mutter mit dem Kind. Gehe wirklich auf, ich glaub, unter 30 sogar, weil ich auch aus einem Auge sehe, dass auf dem Hof, an dem sie gerade vorbeigehen, ein Hund angelaufen kommt. Und ich sehe dann im Vorbeifahren, dass das Kind, von dem Hund erschrocken, tatsächlich einen kleinen Ausfallschritt macht … (Genau das sind diese Momente) … Aber hinter mir einer, dem das zu langsam wa r… (Ja)… Der sofort, als der Ortsausgang erreicht war… (Überholt, zack ja) …
Nadjib
Was bei einer Behörde nicht ankommt, sind diese Fastunfälle. Die vermieden werden, weil man einfach Glück gehabt hat. Weil jemand aufgepasst hat. Und schon mal vorher vom Gas gegangen ist und nicht auf seine Geschwindigkeit bestanden hat. Und das sollte man trotzdem in Rechnung stellen, also das sollte man trotzdem berücksichtigen. Das sind die Informationen, die kommen von den Anwohnern. In dem Moment, wo wir eine Häufigkeit an Fastunfällen haben, ist das auch eine Frage der Statistik, wann es dann tatsächlich zu einem Unfall kommt. Da sollte halt eine Behörde Rücksicht drauf nehmen, die Anwohner können das sehr gut einschätzen. Und das ist dann nicht einfach nur so subjektiv, wenn man mehrere Anwohner fragt, sondern es ist dann tatsächlich belegbar.
Riesenberg-Witte
Das ist auch, was uns an manchen Stellen immer ein bisschen geärgert hat, das sage ich mal so. Jedenfalls mir ging es so, dass wir gesagt haben, ja, das muss vielleicht der Behördenvertreter so sagen, weil das genau um die juristische, wie sie sagen, Rechtssicherheit geht. Das ist richtig. Aber trotzdem sind diese subjektiven Eindrücke, die die Anwohner, die die Menschen hier vor Ort haben, nicht falsch … (Die sind relevant) … Die sind trotzdem relevant. Und ich glaube, diesen Ausgleich, und das ist auch etwas, was sich die Politik auch immer mehr auf die Fahnen schreiben muss, diesen Ausgleich zu schaffen zwischen den rechtlichen Dingen und den subjektiven Empfindungen von Bürgern auf der anderen Seite, die unter einen Hut zu bringen, das ist Fingerspitzengefühl, das ist die hohe Schule der Diplomatie, sage ich mal. Ich glaube, da mangelt es leider zunehmend, das ist meine Beobachtung (…)
Tietz
Autofahrer sind eben doch letztlich in der Überzahl … (Ja klar)… 10.000 Leute, die täglich durch einen Ort fahren, sind mehr als 100… (400)… Mitglieder einer Bürgerinitiative … (Ja klar)…
Riesenberg-Witte
Das war uns, glaube ich, immer bewusst.
Nadjib
Das war uns bewusst. Aber es ist so, wie Friedrich sagt: In dem Moment, wo man anfängt, Fronten aufzulösen, in dem man Kompromissbereitschaft zeigt, hat man eigentlich den Weg geebnet für konstruktive Lösungen. Jeder muss sich dabei bewegen.
Riesenberg-Witte
Und ich habe gemerkt, auch jetzt im Nachgang, wenn man diese Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung, des Zuhörens, des Abwägens wirklich auch ernst nimmt und sich ernst genommen fühlt, reagiert man ja auch anders, als wenn immer nur, so wie wir es am Anfang erlebt haben. Deswegen habe ich ja die beiden Frontschweine auch immer gut verstehen können, Manfred und Masoud. Die sich geärgert haben: Wir werden nicht ernst genommen. Wir sind hier irgendwelche Spinner. Und gerade dadurch, dass wir diesen Verein gegründet haben, dass das groß geworden ist, das zeigt ja, dass man in der Gemeinschaft einfach mehr erreichen kann als immer ganz alleine los zu ziehen, und sagt, ich muss das jetzt mal durchpeitschen hier. Das finde ich schon ganz erstaunlich, dass das so eine Wendung genommen hat, weil es anfänglich, sah es wirklich nicht positiv aus. Da gebe ich Ihnen recht. Das haben Sie bei vielen anderen Bürgerinitiativen schon gehört. Die dann irgendwann entnervt das Handtuch geworfen haben. Und gesagt haben, wir haben keine Lust mehr. Weil das ist vergebliche Mühe, sich da abzuarbeiten an den Behörden. Genau.
Ende.
Das Interview, das ich im Rahmen der Recherche zu meinem Radiofeature "Zu viele, zu schnell – Vom Widerstand gegen das Kfz im ländichen Raum" führte, fand am 17. Januar 2022 statt.
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